Quelle: Gießener Allgemeine, 21.01.2022
»Mit 66 Jahren ist noch lange nicht Schluss«, sang einst Udo Jürgens. Daran haben sich die Schiedsrichter Frank Petry und Wolfgang Loh auch gerne gehalten. Doch nun ist zum Ende der Handball-Saison 2021/22 für den 71-jährigen Loh tatsächlich Schluss.
Nach 38 gemeinsamen Jahren endet zum Ende der Saison die Zusammenarbeit des Schiedsrichtergespanns Frank Petry (rechts) und Wolfgang Loh, der nach 42 Jahren die Pfeife an den Nagel hängt.
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Ein Nagel wurde zwar noch nicht gekauft, doch der Entschluss steht für ihn fest, im Sommer die Pfeife an den berühmten Nagel zu hängen. Für die Handball-Schiedsrichter Frank Petry und Wolfgang Loh endet dann eine 38-jährige Zusammenarbeit als Gespann, wobei sich Petry nun nach einem neuen Partner umsehen muss. Mit 52 Jahren als Handball-Schiedsrichter dürfte Wolfgang Loh nicht nur in der Region der Dienstälteste sein. Das goldene Schiedsrichterjubiläum ging in Corona-Zeiten unter, denn eigentlich sollte schon im vergangenen Jahr Schluss sein. Doch die Corona-Absage der Saison veranlasste ihn dann doch noch eine Saison anzuhängen, einen solch unrühmlichen Abgang wollte Loh sich dann doch nicht bereiten.
Seit bereits 38 Jahren bildet Loh mit dem 67-jährigen Frank Petry ein Gespann, mittlerweile nicht nur das älteste im Handball-Bezirk Gießen, sondern auch in Hessen und wohl auch über die Landesgrenzen hinaus. Beide eint nicht nur die Schiedsrichterleidenschaft, sondern auch die gemeinsame Wurzel als Feld-Handballspieler des TV Münchholzhausen. Jahrelang spielten der gelernte Maschinenschlosser Loh und der Industriemeister Petry in der ersten Mannschaft des TV Münchholzhausen.
Im Schiedsrichterwesen sind beide Idealisten, solche, die sich der Verantwortung stellen und die Attacken von außerhalb auch problemlos aushalten. Handball beherrschte bereits in Jugendzeiten an fünf von sieben Tagen in der Woche das Geschehen bei beiden.
Petry, der seit 47 Jahren als Schiedsrichter im Einsatz ist, erinnert sich noch gut daran, als er mit 20 Jahren nicht nur in der ersten Mannschaft spielte, sondern auch noch die E-Jugend trainierte und den Schiedsrichterlehrgang besuchte. Seinerzeit wurde noch Feldhandball gespielt und hier begann auch die Schiedsrichtertätigkeit auf dem Großfeld. An rund 1500 Wochenenden waren beide in ihrer nun sich dem Ende neigenden und sicherlich einzigartigen Schiedsrichterlaufbahn unterwegs, verbrachten diese in Sporthallen im gesamten Land. Die Reise als Schiedsrichter soll für Petry noch etwas weitergehen, fühlt er sich doch nicht nur fit, sondern auch geradezu verpflichtet, seinen Einsatz zu erbringen, in einer Zeit, da der Schiedsrichterschwund kaum noch aufzuhalten ist.
Nicht nur in Mittelhessen, in ganz Deutschland. Das bislang fast alle Begegnungen von der Jugend bis zu den Aktiven mit einem Referee abgedeckt werden konnten, liegt auch daran, dass es durch die vielen Spielgemeinschaften insgesamt weniger Partien als früher gibt. Mehr als halbiert hat sich die Schiedsrichterzahl, von 670 im Jahr 2000 im heimischen Bezirk. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie haben zahlreiche ältere Schiedsrichter aufgehört und die Lage noch verschärft. Ein Umstand, der für Loh so nicht infrage kam und trotz Planung für eine »Verlängerung« sorgte.
Wer sich dafür entscheidet, als Schiedsrichter Spiele zu leiten, der braucht ein hohes Maß an Enthusiasmus, das berühmte »dicke Fell« - und breite Schultern. Denn was die Schiedsrichter in den Hallen erleben, ist nicht immer angenehm. Schon bei Jugendspielen werden sie von Eltern beschimpft und zu Sündenböcken abgestempelt. Ein weiteres Problem ist, den Nachwuchs bei der Stange zu halten.
Am 8. Januar waren beide in Wettenberg im Einsatz, leiteten das Spitzenspiel in der Bezirksoberliga zwischen den Hausherren und Dilltal. Wie viele Spiele sie gemeinsam insgesamt gepfiffen haben in diesen fast vier Jahrzehnten, darüber wurde kein Buch geführt. Fakt ist aber, dass es kein Gespann in Hessen länger miteinander ausgehalten hat als Loh und Petry. Als Loh 1970 mit dem Pfeifen anfing, hätte er sich nie träumen lassen, diese Tätigkeit mehrere Jahrzehnte auszuführen. »Ich mache das noch solange weiter, wie es mir Spaß macht«, erwidert Petry den Entschluss seines Partners, nun zum Saisonende aufzuhören. Die Aussage teilt auch Loh, hat er doch bisher selbst diese Devise alljährlich in die Tat umgesetzt. Doch irgendwann muss halt einmal Schluss sein.
Insgesamt drei Jahrzehnte pfiff Loh für den TV Münchholzhausen, Petry 25 Jahre. Dann trennten sich zwar die Vereinszugehörigkeiten, doch als Gespann blieben beide zusammen. So bringt es Loh heute auf 22 Jahre Schiedsrichter für den TV Hüttenberg und Petry auf 22 Jahre in Lützellinden, wobei er zunächst sechs Jahre bis zur Auflösung für den TV und seit nunmehr 16 Jahren dann für den TSV 2006 Lützellinden zur Pfeife greift. Noch gut in Erinnerung sind beiden die vier Jahre Regionalliga (1994 bis 1998/heutige 3. Liga). Danach waren sie noch auf Hessenebene aktiv, bis sie vor zehn Jahren beschlossen haben, nur noch Spiele im Bezirk Gießen zu leiten.
Ein Grund für diesen Rückzug waren die langen Fahrten. »Das wollte ich nicht mehr«, berichtet Loh und verweist dabei auf Touren bis an die nördlichste Spitze von Hessen. Zehn Stunden war man manchmal unterwegs, das nervte dann doch. Dazukamen gesundheitliche Probleme, die auch bei Loh und Petry nicht ausblieben. Doch das erfahrene Duo blieb am Ball. Zum Glück für den Handballbezirk. »Den jungen Leuten fehlt der Idealismus«, ist sich Petry sicher, und begrüßt gerade die Übertragungen der Handball-Europameisterschaft, die wieder einmal das Augenmerk auf den Handball lenken und vielleicht auch Jüngere dazu animiert, sich als Schiedsrichter zu engagieren, »denn sonst wird es immer schwieriger. Leute in den Vereinen als Zeitnehmer zu gewinnen, schaffst du gerade noch. Für Vorstandsämter wird es schon schwerer. Schiedsrichter zu finden, ist fast nicht möglich«, so Petry, der seit der Neugründung des TSV 2006 Lützellinden als stellvertretender Vorsitzender fungiert.
»Bis auf wenige Sachen hatten wir nur schöne Zeiten«, blickt Loh auf die gemeinsame Zeit zurück. Einig sind sich beide, dass die Leitung der Spiele der »Alten Herren« von Lützellinden gegen Dutenhofen »schon sehr schwierig war«. Aber bei allen Vereinen konnte noch nach dem Spiel an der Theke ein Getränk genossen werden. Ab und an wurde im Nachhinein auch mal ein Essen spendiert. Aber längst schon ist die Schiedsrichtertätigkeit in den Hallen kein Zuckerschlecken mehr. Kaum vorstellbar, bei dem, was wöchentlich auf die Referees in den Handballhallen so alles zukommt. Doch dagegen »sind wir schon längst abgestumpft«, verrät Loh, der auch nach einem schweren Herzinfarkt 2014 sich wieder in die Hallen zurückkämpfte. Das Training wie auch eine intensive Saisonvorbereitung wollte er nicht missen.
Und doch ist es nun im Sommer vorbei, wird die Saison 2022/23 ohne ihn gespielt. In einem halben Jahrhundert Schiedsrichter hat sich einiges verändert, ist der Ton rauer geworden. Nicht unbedingt auf dem Platz, sondern vor allem daneben. Vor allem bei Jugendspielen werden die jungen, unerfahrenen Unparteiischen massiv von den Zuschauern, darunter oftmals ehrgeizige Eltern, attackiert. Meistens so heftig, dass der Nachwuchs, der sich noch längst nicht das breite Rückgrat erarbeitet hat und häufig auch nicht aus Spaß an der Sache, sondern aus Pflichtgefühl dem eigenen Verein gegenüber diesen Job übernimmt, schnell die Karriere wieder beendet. Trotz Schiedsrichtermangel, erheblichen Geldstrafen und sogar Punktabzügen für die höchstgemeldete Mannschaft, wird den Schiedsrichtern bei den Vereinen nicht jene Wertschätzung entgegengebracht, die sie eigentlich verdient hätten. »Bei den Vereinen bist du manchmal das fünfte Rad am Wagen. Wir haben jahrelang unsere Ausrüstung und fast alles andere selbst bezahlt«, blickt Petry auf jenes Jahr zurück, da sich das Gespann vor 22 Jahren von seinem Stammverein, der HSG Dutenhofen/Münchholzhausen, aufgrund fehlender Anerkennung abwendete.
Diese wird dem Gespann von Spielern und Trainern entgegengebracht, kennt und re-spektiert man sich teilweise über Jahrzehnte hinweg. Was beide freut, ist die Tatsache, dass sie im Februar mal wieder für ein Damenspiel angesetzt wurden. Jahrelang war dies nicht der Fall. Für Loh zudem noch ein »Schmankerl« zum Abschied. Für den Handball-Schiedsrichter-Ruhestand ist erst einmal nichts besonderes geplant, geht es schlicht erst einmal darum, tatsächlich Abstand zu gewinnen. Und das ist nach 42 Jahren schwer. »Bisher habe ich ja immer die Uhr nach dem Handball gerichtet«, so Loh.